Herrschaftslegitimation Mongolischer Khane

Herrschaftslegitimation

Eine Herausforderung für die mongolischen Khane

Das ursprüngliche Herrschaftskonzept mongolischer Gemeinschaften 


Die ursprüngliche Gesellschaftsform der mongolischen Nomaden basierte auf dem oboy (Klan)-System und implizierte, nach patrilinearem Prinzip, die Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren. Die ethnisch-kulturelle Heterogenität der Bevölkerung innerhalb des mongolischen Großreiches wurde im 13. Jahrhundert durch den kollektiven, identitätsstiftenden Faktor der Verehrung Chinggis Khans geeint. Die Bedeutung der monopolisierten Herrschaft Chinggis Khans ist in der Geheimen Geschichte der Mongolen verzeichnet. Ihm gelang es, seine eigenen Völkerschaften (ulus) mit fremden Völkern (qari) zu vereinen. Diese legt den Ursprung der Herrschaft der Chinggisiden über das mongolische Staatswesen dar, dessen politisches Konzept auch als mongghol (Mongolen) bekannt ist. Aus dieser Tatsache ergab sich, dass die religiös-sakrale Symbolik des Herrschers hervorgehoben wurde, und das ehemalige soziale Referenzgefüge, welches sich primär auf das System des oboy gestützt hatte, an Bedeutung einbüßte.

Dieses Herrschaftssystem basierte zudem auf dem Konzept des »Ewigen Himmels« (mong. möngke tengri). Der »Ewige Himmel« stellt ein besonderes Merkmal der mongolischen autochthonen Religion dar. Im Verlauf eines quriltai (Ratsversammlung) wurden das Abstammungs- und das Konzept des »Ewigen Himmels« miteinander verbunden. Es wurde einer unter mehreren Anwärtern, aus dem golden Geschlecht der Chinggisiden, auf das Amt des Khagans (Großkhan) für würdig befunden und »Kraft des Ewigen Himmels« zum Herrscher ernannt. Auf diese Weise zeugt die autochthone Religion der Mongolen von einer ahnen-kultischen Grundlage. Das Anrecht auf die Ausübung politischer Macht wurde zudem nach dem Prinzip der Primogenitur vererbt. Zudem zeichnet sich ein Herrscher durch sein besonderes »Charisma« und durch eine vom Himmel erhaltene Kraft (mong. gücün) aus, wobei diese besondere Kraft und das Charisma nicht unmittelbar vererbbar war. 

Die tibetisch-buddhistische Gesellschaftsstruktur und ihre Einbindung durch Khubilai Khan


Die Basis der tibetisch-buddhistischen Gesellschaftsstruktur bildet die buddhistische Glaubensvorstellung vom Heil als Endziel des Lebens. Um diesen Heilszustand zu erlangen, bedarf es einer spezifischen Lebensführung, welche sich in Besonderem Maße im (Ver)Dienst an anderen äußert. Die Struktur bezieht sich traditionell auf eine buddhistische Dorfgemeinschaft und dessen Klostergemeinde (sansk. sangha). 

Innerhalb dieser Beziehung bietet ein Laie(nhaushalter) einem Mönch Almosen (sansk. dana) an. Der Mönch wiederum lehrt im Ausgleich die ewige religiöse Lehre des Buddha (sansk. Dharma). Dies tut der Mönch nicht nur als Gegenleistung für die Almosen des Gabenspenders, sondern liegt in der Natur eines geistlichen Lehrers begründet. Der Gabenspender erhält in der Beziehung zum Mönch sowohl Heil als auch spirituellen Verdienst (sansk. punya). Dieses Konzept der Almosengebung spiegelt die gegenseitige sozio-religiöse Solidarität zwischen Mönch und Gabenspender wider.

Dieses Gesellschaftskonzept konnte erstmals von Kubilai Khan aufgegriffen und zu einem synergistischen System zwischen tibetischen Geistlichen und den mongolischen Herrschern entwickelt werden. Auf diese Weise bildet Kubilai Khan den Grundstein der yon mchod-Beziehung. Seine vollkommene Form erhielt die mongolisch-tibetische yon mchod-Beziehung mit der Partnerschaft zwischen Altan Khan und dem Dalai Lama.

Anerkennung des tibetischen Buddhismus durch die Mongolen


Eine tibeto-mongolische Verbindung des tibetischen Buddhismus und der mongolischen Weltanschauung, in Form einer personellen tibeto-mongolischen Bindung, bestand bereits seit der Herrschaft Chinggis Khans im 13. Jahrhundert. Daher wird Chinggis Khan als Ursprung des Buddhismus unter den Mongolen erachtet. Unter Chinggis Khans Enkel Gödan Khan, wurde die Beziehung zum Buddhismus vertieft. Dieser erkannte 1244 das geistliche Oberhaupt der Sa skya pa, Sa-skya Panḍita (1182-1251), der damals stärksten religiösen Schule Tibets, und seine Nachfolger als höchste religiöse Autorität Tibets an und sicherte ihnen damit die privilegierte Stellung vor den Oberhäuptern der anderen buddhistischen Schulen. Dieser stellte zugleich den Repräsentanten der tibetischen Fürsten dar, da sich diese mit ihm, als unpolitischen Geistlichen mit hohem Ansehen, identifizieren konnten. Im Gegenzug beanspruchte Gödan Khan für sich die alleinige Entscheidungsgewalt im weltlich-politischen Bereich. Diese Bindung erfuhr im Jahr 1264 kurz nachdem Kubilai zum mongolischen Großkhan aufgestiegen war, eine Fortsetzung.

Die Legitimation Kubilai Khans als Weltenherrscher unter Zuhilfenahme des Buddhismus


Das Konzept der tibetisch-mongolischen Partnerschaft
Dem Konzept der Beziehung zwischen einem Mönch und einem Laienbuddhisten, beziehungsweise einem Objekt der Verehrung und einem Gabenspender, kam in der Zeit der mongolischen Herrscher eine besondere Bedeutung zu. Die Beziehung diente beiden Parteien dazu, an Macht, Status und Legitimation zu gewinnen. Für die Tibeter und den buddhistischen Klerus war es notwendig, weltlichen Schutz zu erhalten, um frei von äußeren Einflüssen ihre Lehre verbreiten zu können. Dies wurde ihnen, in Form von militärischem Schutz durch die Mongolen suggeriert. Für Kubilai Khan war insbesondere die zivilisierende Kraft der buddhistischen Lehre wichtig, um längerfristig über die chinesische Gesellschaft herrschen zu können. 

Die Weiterentwicklung der mongolisch-tibetischen Partnerschaft unter Kubilai Khan, von einer personellen zu einer religiös-politischen, bildet das Konzept des yon mchod. Der Begriff »yon« leitet sich vom tibetischen »yon-bdag« ab. Im Allgemeinen wird mit »yon« eine Person verbunden, welche »eine sakrale Person mit Gaben beschenkt«. In Bezug auf einen Herrscher, beschreibt der Begriff diesen als säkularen, weltlichen Laienbuddhisten, welcher als »Gabenherr« fungiert und an einen religiösen Lehrer eine rituelle Bezahlung entrichtet. Der geistliche Lehrer, welcher im tibetischen als »chöne« bezeichnet wird, erhält die rituelle Bezahlung von seinem Gabenherrn in Form von Naturalien, Gold und militärischen Schutz. Insbesondere dieser Schutz nimmt in dieser geistlich-weltlichen Beziehung eine besondere Rolle ein. Er hat die Funktion die Verbreitung der Lehre der Religion zu unterstützen. Der Gabenherr sollte die rituelle Bezahlung, in Bezug auf das traditionelle Konzept der Almosengebung, uneigennützig und in Ehrfurcht und Dankbarkeit gegenüber seinem geistlichen Lehrer entrichten. Auf diese Weise stellt die rituelle Bezahlung nicht nur eine Gabe an den geistlichen Lehrer dar, sondern impliziert ebenfalls eine »Gabe an die Religion«. Dem traditionellen Ursprungskonzept in der tibetischen Gesellschaft folgend, sollte die duale Beziehung außerdem eine Verbindung von zwei gleichwertigen Parteien darstellen. Im Begriff yon mchod findet sich der geistliche, buddhistische Lehrer oder chöne in der Bezeichnung »mchod« wider. Diese lässt sich vom tibetischen »mchod-gnas« ableiten und bedeutet »jemand der Gaben empfängt/ verdient«. 

Da die Beziehung einen »Gabenaustausch« darstellt, bedarf es einer rituellen Bezahlung beider Partner. Im Austausch für die rituellen Gaben des weltlichen Laienspenders, übernimmt der geistliche Lehrer die Aufgabe buddhistischer Belehrungen, den Vollzug von Ritualen oder erteilt Initiationen. Der geistliche Lehrer, welcher durch einen Lama verkörpert wird, verschafft in der yon mchod-Beziehung dem mongolischen Herrscher die Legitimation seiner weltlichen Macht durch die religiöse Lehre und spirituelle Kraft.

Die Lehre von den »beiden Ordnungen« als Regierungsmodell
Meine bisherige Bezeichnung des »Gabenherrn« und des »Objektes der Verehrung« als die zwei Parteien der yon mchod-Beziehung, spiegelt sich in der Definition von der Lehre der »beiden Ordnungen« (mong. qoyar yosun, tib. lugs-gñis) wider. Die Beziehung wurde somit weiterentwickelt zu einem politischen dualen Konzept von Religion und Staat, geistlicher und weltlicher Aspekte als zwei gleichwertige, sich ergänzende Ordnungen. Im Allgemeinen spricht man von chos srid zuṅ 'brel als Verbindung von »religiösem Gesetz« (Dharma) und »Regierung«.

Historisch betrachtet ist die Person, welche das Gesetz der Religion in die Praxis umsetzt, der »Staatslehrer« und spiegelt die religiöse Autorität. Die andere Person, welche dieses Gesetz in die Praxis umsetzt, ist der Cakravartin-König, der das Rad der Lehre dreht, und so das religiöse Gesetz angemessen verwirklicht, was ihn zu einem Herrscher nach religiösem Gesetz macht. Diese führte zu einer, über seine weltliche Macht hinausreichende, übergeordnete spirituelle Legitimation seiner Herrschaft. Kubilai Khan gilt aufgrund dieser intensivierten Beziehung zum tibetischen Buddhismus als konzeptioneller »Vater« der Lehre der »beiden Ordnungen«.

Die Etablierung des geistigen Lehrers und weltlichen Statthalters
Nach dem Tode des Sa-skya Paṇḍita lud Kubilai Khan dessen Neffen und Nachfolger 'Phags-pa an seinen Hof ein und delegierte mit der Verleihung des Titels »Nationaler Lehrer« (chin. guoshi 国师, tib. gu shri) auch die weltliche Autorität über Tibet an ihn. Auf diese Weise wurde 'Phags-pa Lama zum geistlichen Lehrer seines Gabenherrn Kubilai Khan. 1270 ernannte Kubilai Khan 'Phags-pa zum »Kaiserlichen Lehrer« (chin. dishi 帝师, tib. ti shri), der dadurch über großen Einfluss auf das Büro für buddhistische und tibetische Angelegenheiten verfügte. Im Gegensatz zu Sa-skya Paṇḍita, der seinen Einfluss vor allem im religiösen Bereich geltend zu machen hatte, war 'Phags-pa als eingesetzter Statthalter und damit höchster Amtsträger in der letztlich von den Mongolen kontrollierten Verwaltung Tibets theoretisch ebenfalls ein Teil des Verwaltungssystems. Er konnte jedoch keine eigenständigen, freien Entscheidungen treffen, sondern musste stets im Sinne der Beziehung zu Kubilai Khans handeln. Dieses Amt war bis zum Ende der Yuan-Dynastie das höchste und prestigereichste Amt in der Verwaltung Tibets. 

In der Einsetzung 'Phags-pas als Autorität über den doppelten geistlich-weltlichen Aufgabenbereich liegen die Wurzeln für die dominierende Herrschaft der tibetischen Lamas, die im wesentlichen bis 1959 erhalten bleiben sollte. Es stellt sich nun die Frage wie die religiöse Funktion des mchod gnas zum Herrscherspender – die eher persönlicher als institutioneller Natur war – historisch und funktonal mit der bürokratischen Position des chinesischen »Staatslehrers« und »Kaiserlichen Lehrers« im institutionalisierten Amt der weltlichen bzw. mongolischen Herrscher vereinbar war. Als »Staatslehrers« war 'Phags-pa zuständig für die Leitung des »Departments für buddhistische und tibetische Angelegenheiten«. Als »Kaiserlicher Lehrer« beschränkten sich 'Phags-pas Anordnungen auf Verwaltungsakte und waren von bürokratischem Charakter. Kubilai etablierte seinen Herrschaftsanspruch aus dieser Beziehung, in dem er seine Macht über Tibet ausbauen konnte. Im Umfang der Beziehung unterstützte 'Phags-pa Kubilai Khan, indem er ihn als »Cakravartin-König« (Weltherrscher) bezeichnete.

Kubilai Khan als Cakravartin-Weltherrscher
Die Idee des Cakravartin-König stammt aus dem alten Indien und beschreibt einen idealen König, der das Rad des Lebens dreht und über die gesamte Welt herrscht. Insofern impliziert ein Cakravartin-Weltherrscher weltliche und geistliche Autorität.
 
Die Idee der Personifizierung des Cakravartin-König war für Kubilai Khan deshalb von besonderer Bedeutung, da das mongolische Herrschaftssystem traditionell eine Militäraristokratie darstellte und es ihr an institutioneller Basis fehlte. Dieses System war schwerlich mit der sesshaften, zivilisierten Gesellschaft Chinas kompatibel. Mit der Eroberung Chinas wurde Kubilai Khan Kaiser eines Reiches, dessen gesamte Struktur nach dem Grundkonzept des Himmelsmandats aufgebaut war. Um als Herrscher über China längerfristig legitimiert und anerkannt zu werden, bedurfte es der Anpassung und der Wertschätzung an dieses ideologische Konzept.

Durch die Verkörperung eines Cakravartin-Weltherrschers, nehmen die mongolischen Herrscher der Yuan-Dynastie als buddhistische Universalherrscher eine Position ein, die wesentlich von der der chinesischen Kaiser abweicht. Das religiöse Werk 'Phags-pas, shes-bgha rab-gsal (Was man ganz genau wissen sollte), belegt Kubilai Khans Abstammungslinie über Chinggis Khan auf den Cakravartin-Weltherrscher, was seine Herrschaft über die chinesischen Untertanen legitimierte. Er verkörperte somit nicht nur einen weltlichen Herrscher, sondern einen von universellem, sakralem Charakter. Als Cakravartin-Herrscher implizierte Kubilai Khan außerdem weltliche Harmonie.

Tibetischer Interpretation zufolge ging es beim Akt der Titelverleihung um die rituelle Bestätigung einer religiösen Beziehung zwischen einem geistlichen Lehrer und seinem weltlichen Beschützer. Diese Sichtweise gründet letztlich im buddhistischen Reinkarnationskonzept, welches ebenfalls die weltlichen Herrscher umfasste. Diesen kam auf diese Weise ein größeres Maß an Respekt zu. Auch nach der Etablierung der Yuan-Dynastie, wurden die mongolischen Herrscher, von tibetischer Seite aus, primär als Erben der Cakravartin-Herrschaft betrachtet.

Die Weiterentwicklung der Partnerschaft unter Altan Khan


Mit der Herrschaft Kubilai Khans hatte die yon mchod Beziehung noch nicht ihre endgültige Form erreicht. Obwohl dieses Konzept die Grundlage der späteren Staatsideologie Altan Khans darstellt, war zu diesem Zeitpunkt noch keine Kontinuität der Partnerschaft gewährleistet, welche über den Tod 'Phags-pas und Kubilai Khans hinausreichte. Nach 'Phags-pa waren der Abt der Sa skya pa und der »Kaiserliche Lehrer« zwei verschiedene Person, weshalb der Abt nicht gleichzeitig den säkularen Herrscher von Zentraltibet darstellte. Dies führte dazu, dass es in Tibet nach dem Tod 'Phags-pas zum Ende der Vorherrschaft der Sa skya pa kam.

Geschichtlicher Hintergrund
Als im Jahr 1368 die Yuan 元-Dynastie zusammenbrach, folgte auf sie die han-chinesische Ming 明-Dynastie (1368-1644). Die Mongolen zogen sich zurück, in das Gebiet des alten Zentralkhanats. Die mongolische Geschichte vom späten 14. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war von internen Kämpfen und vor allem von Kriegen der Ostmongolen insbesondere gegen die westmongolischen Oiraten geprägt, denen es gelang, im 15. Jahrhundert ein eigenes Reich zu gründen. 

Batu Möngke Dayan Khan (1460-1543?), einem Nachkommen Chinggis Khans, gelang es zwar einige mongolische Gemeinschaften zu einigen, dies führte jedoch nicht zu einer dauerhaften Zentralgewalt. Nach seinem Tod wurde sein Herrschaftsgebiet in 6 myriaden (Tümen), welche in einen linken und einen rechten Flügel unterteilt waren, aufgeteilt. Während der linke, östliche Flügel unter der direkten Herrschaft durch Großkhan Bodi Alagh, einem Enkel Dayan Khans stand, stand der rechte Flügel unter der Verwaltung eines jinong (Stellvertreter) aus der Linie von Dayan Khans drittem Sohn Barsu Bolud Sayin Alagh. Somit waren diese politischen Oberhäupter Mitglieder einer gesamtmongolischen Aristokratie und mit der Bevölkerung nicht in direkter Linie verwandt.

Die große Wertschätzung der Genealogie des Herrscherhauses wird durch diese Verhältnisse besonders hervorgehoben. Die Zersplitterung in Patrimonialgebiete (ulus), welche die Position eines mongolischen Großkhans schwächte und zum Auf-stieg mächtiger regionaler Herrscher führte, sollte noch Jahrhunderte später Bestand haben. Ob diese Aufteilung der ostmongolischen Gesellschaft zur Schwächung oder zur Verstärkung der zentralisierten Macht der Dayaniden führte, darüber existieren verschiedene Ansichten.

An diesen Ereignissen verdeutlichen spezifische Probleme, mit welchen die mongolischen Gemeinschaften konfrontiert waren: besonders ihr Individualismus erschwerte eine politische Einigung. Insofern war die persönliche Loyalität der mongolischen Gesellschaft einem (Groß)Khan gegenüber, ausschlaggebend für politische Allianzen. Die individuelle Entscheidung für die Einhaltung dieser Loyalität war wesentlich von dem jeweiligen herrschaftspolitischen Charisma des Khans und seines militärischen Erfolgs bestimmt. Aus diesem Grund war die individuelle Beziehung zwischen Herrscher und Gefolgsleuten von besonderer Bedeutung. Eine zentrale Figur unter den Mongolen, in Bezug auf Herrschaftsloyalität und –stabilität, stellt Altan Khan der Tümed (1507-1582) dar. Dieser war ein Enkel Dayan Khans und zweiter Sohn Barsu Bolud Sayin Alaghs. Er führte als jinong Befehl über die 12 Tümed als seinen ulus und gehörte damit dem rechten Flügel der Mongolen an. Nach dem Tod seines Bruders Gün Bilig Mergen wurde Altan Khan inoffizielles Oberhaupt des linken Flügels der Mongolen. Ihm gelang es die Oiraten zu unterwerfen und 1571 ein Friedensabkommen mit China zu schließen. Das Friedensabkommen ermöglichte ihm die Aufnahme von Tribut- und Handelsbeziehungen. Um 1560 gründete Altan Khan die Stadt Köke Khota.

Wie in seinen Beziehungen mit dem China der Ming-Dynastie, so nutzte Altan Khan auch gegen einzelne mongolische Völkerschaften, sowohl militärische Mittel als auch sein diplomatisches Geschick. Dieser Umstand brachte ihm militärische und politische Macht ein.

Altan Khans Herrschaftskonzept
Das ideologische Konzept Altan Khans
Dass Altan Khan innerhalb der mongolischen Gemeinschaften an Macht gewann, spiegelt sich in seinem Titel als suu-tu (Besitzer des Charismas) wider. Auf diese Weise nimmt Altan Khans Person Bezug auf das Charisma eines legitimen Herrschers unter den Mongolen und seinen harmonisierenden Charakter innerhalb der mongolischen Gemeinschaften. Um seiner Herrschaft zusätzlich Stabilität und Dauerhaftigkeit zu vermittelt, griff Altan Khan auf einen weiteren Faktor zurück: den tibetischen Buddhismus und die Idee des Cakravartin-Weltherrschers.

Nach dem Verlust der mongolischen Herrschaft über China, hatte der Buddhismus unter den Mongolen weiter Bestand. Das Konzept, welches Altan Khans militärischen Aktionen ideologische Grundlage und politische Wirksamkeit verleihen sollte, beruhte auf dem Vorbild von Kubilai Khans und 'Phags-pas Cakravartin-Idee. Das alte Vorbild Kubilai Khans mit dem Bezug auf den Cakravartin-Herrscher wurde bei der Re-etablierung der yon mchod-Beziehung, durch den Bezug auf die 1407 gegründete dGe lugs pa, welcher Sönam Gyatso angehörte und aus welcher sich der Lamaismus etablierte, erweitert. Die Beziehung war nun nicht länger auf Altan Khan und seinen religiösen Lehrer, den Dalai Lama beschränkt, sondern konnte durch die Institution der Dalai Lamas auf die folgenden Generationen übertragen werden. Die Partnerschaft hatte sich von einer rein persönlichen, zu einer von zusätzlich institutionellem Charakter entwickelt.

Indikator für die Wiederaufnahme der Beziehung war Altan Khans Verwandter Qutu-ghtai Secen Qung Tayiji, welcher in seiner Weißen Geschichte das Konzept eines tibeto-mongolischen Idealstaates etablierte. Auch Altan Khan hoffte nun, durch das Prestige eines lamaistischen Würdenträgers seine Machtposition festigen zu können.

Umgekehrt benötigten die Lamas nach wie vor die militärische Unterstützung eines weltlichen Herrschers. Da die die Sa skya pa ihre Vorrangstellung längst verloren hatte und die Karma pa mit den Ming-Kaisern in Verbindung stand, ging Altan Khan eine Verbindung mit der von Tsong kha pa (1359-1419) neu entwickelten dG elugs pa (Tugend-Schule) ein. Die dGe lugs pa, welche nach der Übernahme der politischen Macht in Tibet strebte, hatte eben-falls großes Interesse an einer Verbindung mit den Mongolen und somit der Gewinnung weltlicher Unterstützer. Des Weiteren suchten die dGe lugs pa in den Mongolen äußeren Schutz aufgrund innerer Instabilität, das Privileg des Steuererlasses und die Befreiung vom Militärdienst.

Der Dalai Lama als Herrscher der religiösen Ordnung
1578 fand ein Treffen zwischen Altan Khan und dem Abt des dGe lugs pa-Klosters Drepung, Sönam Gyatso (bSod nams rgya mtsho, 1543-1588), statt. Während dieses Treffens wurden dem Geistlichen durch Altan Khan die Ehrentitel »Dalai Lama« (ozeangleicher spiritueller Meister) sowie »Dorje Chang« (Halter des Diamantzepters) verliehen. Die beiden Vorgängerinkarnationen des Sönam Gyatso, welche beide Nachfolger des Tsong kha pa waren, erhielten ihre Titel posthum. Ein Dalai Lama ist die Inkarnation des transzendenten Bodhisattva Avalokiteshvara.

Das Konzept der Reinkarnation gründet auf der tulku-Vorstellung eines »Erscheinungskörpers« (Buddha oder Bodhisattva), welcher sich in einem Kind manifestiert. Unter dem Ausdruck tulku versteht man auch die yangsi (Wiedergeburt) eines Lamas. Diese Wiedergeburt erbt den persönlichen Besitz, das Amt und den Status seines Vorgängers. In der Linie der Dalai Lamas spiegelt sich die Verbindung in Form der Emanation des Bodhisattva Avalokiteshvara und der Wiedergeburt des vorherigen Dalai Lamas wider.

Altan Khan als »Raddreher Religionskönig«
Im Gegenzug wurde Altan Khan von Sönam Gyatso als »Cakravartin Sechen Khan«, als Verteidiger des Glaubens, angeredet. Dies ist eine Ehrenbezeichnung, welche auf dessen Rolle als weltlichen Schutzherrn über die Mönchs- und Laiengemeinschaft verweist. Altan Khans neuer Titel Cakravartin Dharmarāja »Raddreher Religionskönig«, deklarierte ihn als Reinkarnation Kubilais und als buddhistischen Weltherrscher. Mit dem Titel Dharmarāja implizierte Altan Khan den Herrscher über das universale Gesetz.

Damit war die Re-etablierung der tibeto-mongolischen yon mchod-Beziehung als Regierungsmodell und politisch-religiöse Allianz zwischen Staat und Religion eingeleitet. Durch dieses Regierungsmodell der Lehre von den zwei Ordnungen, wurde Tibet wieder zur Referenzgesellschaft für ein Herrschaftskonzept, welches primär inneren Frieden suggerierte. Dieses Regierungsmodell lässt sich ebenfalls mit der autochthonen mongolischen Vorstellung des »Ewigen Himmels« vereinbaren. 

Die Beziehung zur dGe lugs pa war für Altan Khan in erster Linie von politischer Bedeutung, ähnlich wie für Kubilai Khan in seiner Beziehung zu 'Phags-pa. Die Re-etablierung der yon mchod-Beziehung war wahrscheinlich nicht primär auf die Bekehrung der mongolischen Gesellschaft zum Lamaismus ausgelegt.

Die Eingliederung der Mongolen in die Reinkarnationslinie der Dalai Lamas


Trotz des fehlenden erhofften Erfolgs als Herrscher, führte Altan Khans Politik und Beziehung zum Dalai Lama in der Folge zu einer Neuorientierung: der Integration der Mongolen in die Reinkarnationslinie und Institution der Dalai Lamas. Als Maßnahme zur Verhütung des Abbruchs der Beziehungen nach dem Tod der beiden Partner, des 3. Dalai Lama und des Altan Khans, kündigte Sönam Gyatso kurz vor seinem Tod 1588 an, er werde in der Mongolei wiedergeboren. Seine Reinkarnation, und damit den 4. Dalai Lama Yonten Gyatso (1589-1617), fand man innerhalb der Familie Altan Khans. Dies führte dazu, dass die Beziehung zwischen den Mongolen und Tibet auch nach dem Tod Altan Khans und des 3. Dalai Lamas weiter Bestand hatte. Auf diese Weise veränderte sich das Selbstverständnis der Mongolen. Die zuvor als unzivilisiert betrachtete Gemeinschaft der Hirtennomaden, welche in einer archaischen Religion verhaftet waren, wurde nunmehr in die übergeordnete Weltreligion des Lamaismus integriert.

Die Bedeutung des Lamaismus für die Mongolen wird aus mongolischen Schriftstücken des 17. Jahrhundert deutlich, in welchen buddhistische mantrische Ausdrücke aus dem Sanskrit verwendet wurden, welche den Khan als sakrale Person untermauern. Außerdem konnte ein Fürst nunmehr nur vom Dalai Lama den Titel »Khan« verliehen bekommen.
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